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Stefan

Wie der Gender Data Gap Frauen benachteiligt

 

Wenn Informationen in Bezug auf verschiedene Geschlechter, zum Beispiel bei einer Studie oder bei der Erstellung einer Stadtinfrastruktur, fehlen, kann ein Geschlecht dadurch benachteiligt werden. Bei solchen Informationslücken wird von einem Gender Data Gap (geschlechtsbezogene Datenlücke) gesprochen. Da die westliche Welt in den vergangenen Jahrhunderten tendenziell von Männern regiert und entworfen wurde und Frauen in zahlreichen Bereichen wie Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik nicht berücksichtigt oder sogar ausgeschlossen wurden, hat sich der Irrglaube festgesetzt, der Mann wäre die Norm. Das äussert sich unter anderem auch bei Anatomiebüchern, auf deren Titelseiten mehr männliche als weibliche Körper abgebildet sind.

Die Autorin und Rundfunktjournalistin Caroline Criado-Perez schrieb zu diesem Thema ein grossartiges wie auch erschütterndes Buch namens «Unsichtbare Frauen». In diesem legt sie sachlich fundiert dar, in welchen Bereichen Wissenslücken vorhanden sind und welche Konsequenzen diese für Frauen haben. Zum Beispiel ist die Raumtemperatur in Büros so angepasst, dass sie für Männer angenehm, für Frauen hingegen zu kalt ist. Bei öffentlichen Toiletten sind die Raumgrössen zwar meistens identisch, in den meisten Fällen stehen aber mehr Toiletten für Männer zur Verfügung, da Pissoirs weniger Platz brauchen. Zudem gibt es Beispiele, die nicht nur ungerecht, sondern sogar tödlich sein können. Bei der Entwicklung von Autositzen werden fast nur Männer-Dummies getestet. Das führt dazu, dass deutlich mehr Frauen als Männer bei Verkehrsunfällen schwer verletzt werden oder sterben, da der Sitz und der Gurt die Körpergrösse und die Unterschiede beim Körperbau nicht berücksichtigen.

 Die Lektüre «Unsichtbare Frauen» ist viel zu umfangreich, als dass ich hier auf alle wichtigen Aspekte eingehen könnte. Einige davon will ich jedoch in diesem Text thematisieren:

 

Gesundheit

Mittlerweile gelten in einigen Ländern Bestimmungen, keine medizinischen Studien ohne Berücksichtigung des weiblichen Geschlechts (sei es in Bezug auf Menschen oder auf Labortiere) vorzunehmen. Es gibt aber zahlreiche Studien, an denen nur männliche Probanden teilgenommen haben, aus denen Schlüsse gezogen wurden, die für Frauen als auch Männer gelten. Dadurch wird übergangen, dass sich eine Krankheit bei Frauen und Männern anders äussert und dass somit auch andere Medikamente und Therapien vonnöten sind. Da Frauen in den klinischen Studien in manchen Fällen nicht beachtet werden, hat dies zur Folge, dass Frauen öfter an Nebenwirkungen leiden oder sogar sterben.

Da etliche Medikamente, die entwickelt wurden, in ihrer Testphase nur an Männern und männlichen Labortieren getestet wurden, wurden anatomische Unterschiede zu Frauen übersehen. Dies führte dazu, dass Arzneimittel bei Frauen nicht wirken, eine zu hohe Dosis eingenommen wird oder Nebenwirkungen auftreten, die bei der Entwicklungsphase des Medikaments gar nicht aufgefallen waren. Zudem ist es so, dass Medikamente, die Männern helfen, bei Frauen das Gegenteil bewirken können.

Das oft hervorgebrachte Argument, dass der weibliche Körper komplizierter aufgebaut ist und klinische Studien auf diesen schwer umsetzbar sind, darf keinesfalls als Argument herhalten, nicht auf die Bedürfnisse von ihnen einzugehen. Immerhin stellen Frauen die Hälfte der menschlichen Bevölkerung.

Ein Schritt in die richtige Richtung ist eine Angabe auf den Beipackzetteln von Medikamente zur Dosierung für das jeweilige Geschlecht. Zusätzlich braucht es Studien zur Symptomatik und Behandlung von Frauen mit Arzneimitteln. Und diese sollten nun endlich stärker gefördert werden.

 

Wirtschaft

Für die Bemessung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) werden zahlreiche Aspekte berücksichtigt, um ein schlüssiges Bild der Wirtschaftssituation eines Landes widerzuspiegeln. Ein zentraler Arbeitsbereich wird dabei ausser Acht gelassen, nämlich die Pflege- und Betreuungsarbeit sowie Haushaltsarbeiten. Somit läge das tatsächliche BIP eines jeden Landes deutlich höher. Darüber hinaus wäre es für die Vollzeitbeschäftigten gar nicht möglich, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, wenn sich nicht der/die Partner/in (in den meisten Fällen Frauen) um Kinder und Haushalt kümmern würden. Und auch für die Betreuung von pflegebedürftigen Familienmitgliedern, welche überwiegend von Frauen getätigt wird, erhalten Betroffene noch immer zu wenig finanzielle Unterstützung vom Staat.

Dabei ist es kein Ding der Unmöglichkeit, Care-Arbeit zu berechnen, in die Wirtschaftsstatistik einfliessen zu lassen und anschliessend Betroffene fair für ihre Dienste zu entlöhnen. Dafür müsste man lediglich Befragungen zum Tagesablauf durchführen, um herauszufinden, welche Tätigkeiten im Haushalt und bei der Betreuung anfallen und wie viel Zeit diese benötigen. Somit werden Daten für eine bessere Berechnung des wirklichen BIP’s erhoben und vor allem erhalten jene, die bisher eine unbezahlte Arbeit zuhause geleistet haben, endlich einen Lohn.

 

Schlusswort

Die bisherigen Erläuterungen sind nur einige wenige Bereiche, in denen Daten von Frauen fehlen, die notwendig wären, um eine Benachteiligung und oftmals auch Diskriminierung von Frauen einzudämmen.

Wir als Gesellschaft, insbesondere alle Männer, und ganz besonders jene, die Entscheide für die Gesellschaft treffen und/oder Waren prüfen und herstellen, müssen sich fragen, in welchen Bereichen der Gender Data Gap vorkommt und wie wir diese Informationslücken schliessen können. Produkte, die entwickelt werden, müssen auf Ihre Handlichkeit für beide Geschlechter geprüft werden. Anschliessend sollte überlegt werden, ob ein Kompromiss bei der Grösse des Geräts (z.B. bei Handys), eine manuelle Einstellbarkeit (z.B. bei Autositzen) oder aber zwei separate Lösungen (z.B. Medikamente) benötigt werden.

Ein Satz gegen Ende des Buches hat auf mich besonders Eindruck gemacht:
«Frauen vergessen nicht so leicht wie Männer, dass es Frauen gibt.»

Kulturschaffende, Wissenschaftlerinnen und in anderen Bereichen tätige Frauen bemühen sich deutlich häufiger darum, dass bei ihren Arbeiten und ihren Teams beide Geschlechter vertreten sind, als dies bei Männern der Fall ist.
So gibt es eine Chance, dass sich festgefahrene Strukturen verändern und die weibliche Perspektive mehr Beachtung findet. Das Resultat, eine gerechtere Gesellschaft, ist für uns alle sehr wünschenswert.

Obige Beispiele und weitere Inhalte dieses Buches führten dazu, dass ich die Welt nun mit anderen Augen sehe und Probleme erkannt habe, die ich trotz meiner weltoffenen Sicht noch nicht kannte. Die Lektüre dieses Buches kann ich allen Menschen wärmstens empfehlen, da es wichtige Veränderungen für die Gesellschaft ins Rollen bringen kann. 

Literaturangaben: Caroline Criado-Perez  (2020), Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. Vom Englischen ins Deutsche übersetzt von Stephanie Sing

Text von Stefan Frischknecht