Jürg Weibel Zeitvorsorge
Blogpost

Zeit schenken und so fürs Alter vorsorgen - so funktioniert die Zeitvorsorge

Jürg Weibel ist Geschäftsführer der Stiftung Zeitvorsorge. Die Stiftung ermöglicht Menschen ab 50 Jahren, betagten Personen Gesellschaft und Zeit zu schenken.

Nutzen statt besitzen ist die Idee der Sharing Economy. Auch das Teilen von Zeit kann man hierzu zählen. Im Sommer 2022 hat OstSinn die Koordination und Weiterentwicklung von ShareGallen von Umwelt und Energie Stadt St.Gallen übernommen. ShareGallen ist eine Plattform für Sharing-Angebote und -Initiativen in St.Gallen. 
Zweimal jährlich stellen wir auf unserem Blog eine Sharing-Initiative genauer vor. Im ersten Beitrag 2023 erzählt Jürg Weibel, was die Stiftung Zeitvorsorge ist, wie sie funktioniert und wie sie zu einer nachhaltigeren Ostschweiz beiträgt.

 

Wo ist für Sie der Bezug von der Zeitvorsorge zum Thema «Sharing Economy»?

Geteilt wird eines der wertvollsten «Güter» in unserer Gesellschaft: Zeit. Genauer: Geteilte Zeit oder soziale Zeit. Leider ist dies eine Ressource, die scheinbar knapper wird. Bei Sharing Economy denken wohl viele eher an geteilte Güter und Dienstleistungen und kaum jemand an «Zeit». Wir bringen dies deshalb gerne in einen Zusammenhang zu den Uno-Nachhaltigkeits-Zielen – beispielsweise zum Ziel 3: «Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen zu fördern». Wir sind überzeugt, dass – gerade für ältere Menschen – soziale Zeit die eigene Gesundheit genauso fördert, wie medizinische Unterstützung.

 

Worum geht es bei der Zeitvorsorge?

Grundsätzlich geht es darum, dass die Zeitressourcen der dritten Generation älteren Menschen zu Gute kommen. Nicht zuletzt mit dem Ziel, dass die älteren Menschen möglichst lange in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben können. Die geleisteten Stunden der Freiwilligen – wir nennen sie Zeitvorsorgende – werden einem Konto gutgeschrieben, damit sie diese später selbst einlösen können. Seitens der mitwirkenden Gemeinden - bisher St.Gallen und Rapperswil-Jona, ist die Einlösbarkeit dieser Stunden garantiert.

 

Was ist die Vision hinter der Zeitvorsorge?

Wir wollen ganzheitlich und in enger Zusammenarbeit mit den bestehenden Organisationen im Altersbereich dafür sorgen, dass Menschen im Alter mehr soziale Zeit erhalten. In wenigen Jahren wird ein Viertel der Schweizer Bevölkerung über 65 Jahre alt sein. Diese demographischen Veränderungen und der gesellschaftliche Wandel – z.B. die Berufstätigkeit der eigenen Kinder, die oft in anderen Gegenden wohnen - machen es notwendig, dass «soziale Zeit» vermehrt durch Freiwilligenarbeit geleistet wird.

 

Wer kann sich bei der Zeitvorsorge beteiligen und wie?

Einerseits Freiwillige, ab 50 Jahren, die sich sinnvoll engagieren wollen. Sie schenken den älteren Menschen Gesellschaft und Zeit. Sie gehen mit ihnen spazieren, kochen zusammen, lesen die Zeitung vor, kaufen gemeinsam ein. Sie erhalten eine sinnvolle Aufgabe, Dankbarkeit, Anerkennung und Zeitgutschriften.
Andererseits ältere Menschen, die Begleitung und Unterstützung wünschen. Die Kontaktaufnahme zu uns läuft häufig über Verwandte, Bekannte oder Nachbarinnen und Nachbarn. Oder über betreuende Angehörige, die sich selbst auch mal ein paar Stunden Auszeit nehmen wollen.

 

Wie wird das Angebot im Moment genutzt und was ist Ihr Wunsch diesbezüglich für die Zukunft?

Die Stiftung Zeitvorsorge ist noch eine junge Organisation, welche vor 9 Jahren in der Stadt St. Gallen operativ gestartet ist. Hier sind es bereits über 300 Zeitvorsorgende und es wurden seit Beginn über 70'000 Stunden geleistet. Mehr als ¾ dieser Zeitvorsorgenden machen dies übrigens für eine unserer vielen Partner-Organisationen, wie die Spitex, Obvita oder das SRK. Seit November 2021 ist die Zeitvorsorge auch in Rapperswil-Jona tätig. Und wir arbeiten daran, dass dieses Modell weiter geographisch ausgedehnt werden kann.

 

Wie trägt die Zeitvorsorge zu einer nachhaltigeren Ostschweiz bei?

Durch Kooperation und Zusammenarbeit. Also durch Vernetzung, Koordination und Vermittlung der verschiedensten Anspruchsgruppen. In St. Gallen sind bspw. 15 Partner-Organisationen beteiligt. Und im Hintergrund die politische Gemeinde.
Durch Förderung des Wohnens zu Hause. Mehr als 90% der Bevölkerung über 75 Jahren wünscht sich genau dies.
Durch Einsparungen für die öffentliche Hand durch die Verzögerung oder die Vermeidung von Heimeintritten.
Und nicht zu vergessen: Die Zeitvorsorge heisst auch Standort-Förderung. Nach wie vor stösst dieses Modell aus St. Gallen auf nationales und internationales Interesse. Dies geht bis zur Einführung von ähnlichen «Time-Banking-Systemen» im Ausland.


Vielen Dank für das Interview!

 

 

Kategorie

Sozial & Gesundheit la la-lightbulb-o
zuletzt aktualisiert am: 15. Juli 2024

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