OstSinn: Ein Drittel der Lebensmittel werden in der Schweiz weggeworfen, was rund 2 Millionen Tonnen Nahrungsmitteln pro Jahr entspricht. Das Projekt RestEssBar hat sich zum Ziel gesetzt, dem Lebensmittelwegwurf mit konkreten Massnahmen entgegen zu wirken. Könntest Du bitte Beispiele geben?
Annette Schulthess-Mettler: Der Verein RestEssBar besteht aus circa 25 bis 30 Helfenden und wir decken in St. Gallen sieben Läden ab. Jeden Tag ausser sonntags werden Touren gefahren und Lebensmittel werden vor dem Wegwerfen gerettet. Sie werden dann zu unserem öffentlichen Kühlschrank gebracht und dort wieder an Menschen verteilt. Dazu kommt noch ein Restaurant, bei welchem auch zwei mal pro Woche Essen abgeholt wird. Monatlich kommen wir auf circa 125 Touren, die freiwillig gemacht werden. Mit unserem Wirken möchten wir verhindern, dass so viele Lebensmittel im Abfall landen.
OS: Und ihr macht alles freiwillig.
A. S-M: Ja, wir machen alles freiwillig und unentgeltlich. Unser „Lohn“ ist sozusagen, dass die Helfenden, welche eine Tour machen, für sich selber eine Anzahl Lebensmittel nach Hause nehmen dürfen. Das ist manchmal auch eine Entlastung des Haushaltsportemonnaies.
OS: Was war deine persönliche Motivation für die Mitarbeit im Vorstand beim Verein RestEssBar?
A. S-M: Die Umwelt und die Natur lag mir immer schon am Herzen und ich werfe selber keine Lebensmittel fort. Mir dreht sich den Magen um, wenn ich sehe, was alles weggeworfen wird. Da wollte ich mithelfen, das zu minimieren. Da meine Tochter diesen Verein gegründet hat und weggezogen ist, der Verein dann auf der Kippe stand, konnte ich nicht zuschauen, wie das ganze Projekt unter Umständen gestorben wäre. Deshalb habe ich mich für die Vorstandsarbeit gemeldet.
OS: Und wie hat sich deine Arbeit in der letzten Zeit entwickelt?
A. S-M: Es ist manchmal sehr anstrengend und es gibt auch ganz viele schöne Momente. Aber grundsätzlich ist es eine Herausforderung, mit all den verschiedenen Situationen umzugehen. Das HelferInnen-Team hat sich gut entwickelt: Es ist mehr Ruhe hinein gekommen. Auch mit dem neuen Standort, welchen wir vor mehr als einem Jahr gefunden haben, ist das Umfeld ein wenig ruhiger geworden. Es ist eine schöne Sache.
OS: Du hast erwähnt, dass sich dir der Magen umdreht, wenn du siehst, wie viel weg geworfen wird. Mir ging es auch so, als ich den Film „Taste the Waste“ gesehen habe. Im Film wird gezeigt, dass eine Bäckerei heute 60 Brotsorten und 30 Brötchenarten braucht. Wie steht das im Zusammenhang mit Abfall?
A. S-M: Für mich hat es mit Mathematik zu tun. Wenn ich 10 Sorten Brot für eine bestimmte Menge Menschen backe, brauche ich weniger, als wenn ich 60 Brotsorten backe. Zudem ist es auch für den Kunden manchmal überfordernd, aus diesem Angebot auszuwählen: Wer die Wahl hat, hat die Qual. Die richtige Menge abzuschätzen, ist schwierig und so bäckt der Bäcker sicherheitshalber mal genug von allem. Es wird viel mehr produziert, als verkauft werden kann und deshalb landet am Schluss auch mehr im Abfall....
OS: Könntest du bitte Beispiele geben, womit unsere LeserInnen ihren Foodwaste reduzieren oder sogar vermeiden können. Du hast gesagt, dass du nichts weg wirfst. Wie machst du das?
A. S-M: Ich fange bei mir selber an. Sonntags überlege ich mir, was ich kochen möchte und ich mache einen Wochenkochplan. Dem Kochplan entsprechend stelle ich eine Einkaufsliste zusammen und gehe mit dieser einkaufen. Dann darf ich mich nicht verführen lassen, sondern kaufe nur ein, was ich brauche.
Ein anderer Tipp ist, die eigenen fünf Sinne und den gesunden Menschenverstand einzusetzen. Das heisst, dass ich das Ablaufdatum kritisch hinterfragen muss. Vieles ist nicht einfach gleich tödlich, nur weil das Verbrauchsdatum abgelaufen ist. Ich kann mit meinen fünf Sinnen testen und darauf vertrauen, dass ich merke, wenn mir etwas nicht mehr gut tut. Ein anderer Aspekt ist zum Beispiel bei Obst oder Gemüse, das eine Druckstelle oder Schimmel aufweist. Ich muss da nicht das Ganze weg werfen, sondern nur die schlechte Stelle weg schneiden. Ausserdem wähle ich manchmal auch im Laden etwas aus, das nicht 1A-Qualität hat, wenn ich es zuhause gleich verwerten kann. Denn solche Ware landet mit grosser Wahrscheinlichkeit im Müll.
OS: Ein Zeit lang war die RestEssBar wegen der COVID-19 Situation geschlossen. Wie ist es nach den Lockerungen?
A. S-M: Wir haben jetzt erst seit einer Woche wieder geöffnet. Der Start war eher ruhig. Wir erhoffen uns, dass mit den BAG-Auflagen des 2m-Abstandes auch der gelegentliche „Ansturm“ von Kunden geregelter abläuft. Das wäre ein schöner Nebeneffekt.
Mehr zum Thema:
http://restessbar.ch/de/standorte/stgallen
https://www.savefood.ch/
https://foodwaste.ch/